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LIA

Laboratory for Integrative Architecture 
LOREM IPSUM

REVERSE T-TYPE

Design studio, Winter 2016/17


Introduction


Abstract (English)
The rising replacement of productive uses and jobs from inner-city areas by housing asks for new ways of integrating production into the city [1]. While this development seems logic from the housing perspective – housing and production can usually not co-exist without certain friction – the resulting segregation is quite problematic from a social and economic view as "our cities get more and more reduced to places of monofunctional housing, consumption and to loactions of high-profile services"[2] (Läpple, 2013). We see a potential answer to this challenge in the investigation and development of an integrative housing and production typology. The modernist plinth-slab typology, that we call Reverse T-Type, represents the genotype of such an approach.

Kurztext
In innerstädtischen Bereichen stellt die zunehmende Verdrängung von Gewerbe zugunsten von Wohnungen die akute Frage nach neuen Wegen der Integration von Produktion [1]. Während diese Entwicklung aus der Perspektive des Wohnens zunächst verständlich erscheint – Wohnen und Gewerbe vertragen sich nicht ohne weiteres – zeigt sich die resultierende Entmischung aus sozialer und wirtschaftlicher Perspektive problematisch. Denn "unsere Städte werden unter dem Einfluss postindustrieller Stadtkonzepte immer mehr reduziert auf Orte des monofunktionalen Wohnens, des Konsums und auf Standorten hochwertiger Dienstleistungen." [2] (Läpple, 2013) In der Untersuchung und Entwicklung einer integrativen Wohn- und Gewerbetypologie sehen wir eine mögliche Antwort auf diese Herausforderung. Die moderne Sockel-Scheiben Typologie, den wir Reverse T-Type nennen, ist der namensgebende Genotyp für solch eine Annäherung.


Berlin
Schaut man auf die aktuell geplanten großen Wohnungsbauprojekte [3] an den Rändern Berlins, mit denen der Berliner Senat den dringend benötigten Wohnraum schaffen will, verwundert: Trotz zahlreicher Absichtserklärungen für mehr Nutzungsmischung wird weiterhin in großem Umfang monofunktional und typologisch homogen gebaut.

Diese vermeintlich überholten Prinzipien des Nachkriegsstädtebaus spiegeln sich auch in der aktuellen Baunutzungsverordnung wider. Sie verbietet es, in Wohngebieten störende Funktionen unterzubringen. In Zeiten von "Industrie 4.0" und neuer, leiser Produktionsmethoden und trotz einer jahrzehntelangen Debatte in der Fachwelt über mehr Mischnutzung treiben in den Verwaltungen und Gesetzgebungen die Geister der Funktionstrennung immer noch ihr Unwesen.

Deutet sich vorsichtig eine Trendwende an? Jüngst wurde der Ruf nach einem Milieuschutz für kleinteiliges Gewerbe laut, das derzeit gerade durch Wohnungen aus innerstädtischen Gebieten verdrängt wird [4]. Diverse Absichtserklärungen der Bundesregierung [5] und des Berliner Senats [6] weisen auf die Wichtigkeit von kleinteiligem, produzierendem Gewerbe und "Urban Manufacturing" im städtischen Kontext hin.

Bereits 2006 stellte Saskia Sassen auf einer Konferenz in Berlin heraus [7], dass "Urban Manufacturing" ein wichtiger Zulieferer für die großen Wirtschaftsplayer und den kulturellen Sektor ist, deren gegenseitiger Erfolg untrennbar verknüpft ist. Da Schmuckhersteller, Innenarchitekten, Möbelbauer, Produktdesigner, Bühnenbildner, Modedesigner, Bautischler oder Schmiede maßgeschneiderte Produkte anbieten, brauchen sie Kundennähe und einen großen und kurzfristig verfügbaren Pool handwerklich gut ausgebildeter Arbeitskräfte. Deshalb sind sie auf starke Netzwerke und Synergieeffekte angewiesen, für die ein urbanes Umfeld optimale Bedingungen liefert. Aus der Perspektive der Quartiere stellt Dieter Läpple die Bedeutung der lokalen Ökonomie wie folgt dar: "insbesondere die Stadtteil- und Quartiersbetriebe – bieten wohnungsnahe Arbeits-, Ausbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten und erfüllen damit wichtige Aufgaben der sozialen Integration und Sozialisation."[8]

Eine konkrete Perspektive hat kürzlich eine Gesetzesinitiative des Bundesbauministeriums aufgezeigt. Noch in diesem Jahr soll die Kategorie der "urbanen Gebiete" in die Baunutzungsverordnung aufgenommen werden. Sie soll die Mischung von Wohnen und produzierendem Gewerbe ermöglichen sowie höhere Grade der Dichte und Lautstärke erlauben [9].

Hier wird eine Tendenz, weg von der modernistischen Idee der Konfliktvermeidung und funktionsgebundenen Effizienzoptimierung durch Trennung, hin zur Erkenntnis, dass Mischung einen kulturellen, sozialen und ökonomischen Mehrwert bringt, deutlich. Eine erfolgreiche Umsetzung erfordert allerdings zunächst die breite Einsicht, dass urbanes Wohnen nicht emissionsfrei sein kann, sowie eine Aushandlung des Grades an Mischung, der in urbanen Gebieten noch tolerierbar ist. Um dies ausloten zu können, müssen die Möglichkeiten und die Grenzen der Mischung vorstellbar gemacht werden. Herauszufinden, was stört und was noch tolerierbar ist, ist somit eine Frage der räumlichen Visionen, der Typologien und der Programme, mit denen Wohnen koexistieren kann. Hier ist dringend Raum für experimentelle Entwurfsansätze nötig, denn die wenigen Ausnahmen, die Wohnen und Produktion realisieren konnten, wie das Stadtquartier Friesenstraße am Tempelhofer Feld, mischen nicht, sondern isolieren das Gewerbe mit gehöriger Distanz zur Wohnbebauung [10].

Wohn-Gewerbe Typologien
Seit der Industrialisierung lassen sich zwei Ansätze der Integration von Gewerbe und Wohnen gegenüberstellen: der gründerzeitliche Gewerbehof und die moderne Sockel-Scheiben Typologie (RTT). Während beim Gewerbehof die Wohnnutzung an den Rändern und die Gewerbenutzung in den Innenbereichen angesiedelt wurde, so wurden in der Sockel-Scheiben Typologie die Nutzungen vertikal gestapelt. Das Gewerbe sitzt unten, das Wohnen darüber. Die Stapelung ermöglicht eine relativ autonome Gestaltung beider Bereiche. So ermöglicht der Sockel große zusammenhängende Gewerbeeinheiten, für Wohnnutzungen wiederum wäre er unbrauchbar. Die Wohngebäude können durch größere Abstandsflächen zu Nachbargebäuden in der Höhe wachsen, was zur Qualität der Wohnungen beiträgt. Im Vergleich zum Gewerbehof werden Durchwegung und vertikale Erschließung beim Reverse-T-Type allerdings zu einer komplexen Aufgabe. Wie sieht aufbauend auf der Idee der Stapelung von Nutzungen eine zeitgemäße Verhandlung des konfliktreichen Verhältnisses von Gewerbe und Wohnen aus?


Aufgabe
Für ein Grundstück im Bezirk Moabit wird das Studio ein hohes Wohngebäude mit einem gewerblich genutzten Sockel entwickeln. Die Herausforderungen sind vielfältig.

Räumliche Verortung auf dem Grundstück: Zur Annäherung an die Aufgabe der Verteilung von Wohn- und Gewerbeanteilen auf dem Grundstück bedienen wir uns eines ikonographischen Alphabets. Der Reverse T-Type stellt die Grundform (Genotyp) dar, A's, Flipped E's, H's, I's, J's, L's, O's und U's sind Variationen, die als Modelle räumlicher Verteilung getestet werden. Konkret heißt das, was bei einem A die Terrassen sind, ist bei einem L der Dachgarten auf dem Sockel. Ein A ist zu allen Seiten symmetrisch, ein L hingegen unterscheidet eine klare Front- und Rückseite.

Verhandlung kontrastierender (Eigentums- und) Nutzerinteressen: Weitere Komplexität bringt wie schon eingangs angedeutet die Frage des Zugangs, der Erschließung und der Abstufungen von Öffentlichkeit im Gebäude. Betriebs- und Ruhezeiten sind antizyklisch, was in die Frage der Zugangskontrolle, aber auch in die Frage der Begrenzung und Kontrolle der (Geräusch-) Emissionen des Gewerbes hineinspielt. Die Emissionen sind die vielleicht spezifischste Herausforderung dieser Typologie. Hier könnte je nach Projekt eine Recherche zu Techniken des Schallschutzes angebracht sein. Ein letztes Feld machen die Normen für Wohnen und Gewerbe auf. Alle Projekte sollten den gegebenen Regulierungen entsprechen, wobei in der Frage des Schallschutz sicherlich die Suche nach alternativen Absprachen angebracht wäre.

Unterschiedliche Dimensionen von Wohnen und Gewerbe: Die in der Tendenz großen Gewerbeeinheiten und in der Tendenz kleinen Wohnungseinheiten legen eine Stapelung nach dem Prinzip klein auf groß nahe. Je nach Verteilungstyp (Alphabet) und Stapelung entstehen dabei andere Mischungskonzepte. Die Grenze, also der Übergang zwischen Wohn- und Gewerbenutzung ist folglich bei jedem Typ eine andere und ist projektbezogen zu entwickeln.

Flexibilität Gewerbe vs. Wohnen: Entgegen einer Logik der Stapelung von klein auf groß, benötigen Gewerbenutzungen eine größere Flexibilität im Bezug auf die Raumaufteilung, also weitere Konstruktionsraster als das Wohnen, da dieses eine engmaschige Haustechnik voraussetzt. Im Bezug auf die Konstruktion ist also eine intelligente Umlenkung oder Durchdringung gefragt.

Zur Annäherung an die Aufgabe liegt ein weiterer Zugang darin Referenzprojekte unter programmatischen, gestalterischen und konstruktiven-technischen Aspekten zu untersuchen, vor dem Hintergrund veränderter Lebensformen und des aktuellen sozio-ökonomischen Kontexts Berlins kritisch in Frage zu stellen, um letztlich taugliche Elemente zu übernehmen und weiter zu entwickeln.

Trägermodell und Programm
Das Projekt wird entwickelt und betrieben in Kooperation der jetzigen Eigentümer der Gewerbeparzellen und einer Berliner Genossenschaft. Die Kooperation ist eine win-win Situation für alle Partner. Durch das Kooperationsangebot wird den Gewerbebetrieben seitens der Senatsverwaltung eine Ausweitung der Grundstücksauslastung ermöglicht, während die Genossenschaft ihrerseits, glücklich über ein Baugrundstück dieser Größe, Zugeständnisse an die Gewerbebetriebe macht. 

Grundstück
Zwischen dem nördlichen S-Bahnring und den Wohnquartieren Moabits liegt das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Moabit. Das Bahngelände und der nördlich daran anschließende Westhafen trennen die Wohnbezirke Moabits und Weddings. Im Übergang zwischen Bahngleisen und Wohnbebauung existiert, eingerahmt von Quitzowstraße und der kürzlich zum Zweck der Entlastung gebauten Ellen-Epstein-Straße, ein schmaler Streifen überwiegend eingeschossigen Gewerbes.

Diese Flächen sind Teil des Fördergebiet Tiergarten-Nordring/Heidestraße (Stadtumbau West), das Grundstück befindet sich im Teilraum C, dem sogenannten Nordring. Der ehemaligen Güterbahnhof Moabit wurde seit 2007 zum Stadtgarten Moabit umgebaut, auf dem Gelände befindet sich unter anderem das ZK/U (Zentrum für Kunst und Urbanistik).
Das Grundstück ist mit 80m Breite und 80m Tiefe (6400 m2) etwa halb so groß wie die Blöcke der Nachbarschaft. Eine Herausforderung des Projekts besteht darin die bestehende Gewerbenutzung zu integrieren. Bestehende Gebäude können abgerissen werden. Die zur Beruhigung der Quitzowstraße gebaute Umgehungsstraße garantiert eine gute Anbindung, während die Quitzowstraße sich zu einer Brückensituation im Übergang zum Quartier um den Stephansplatz entwickeln könnte. Die zwischen Umgehungsstraße und Bahngleisen gelegene Industriebrache soll als Park im Konzept berücksichtigt werden.




Studio Programm
Nach einem ersten typologischen Experiment mit Massenmodellen, werden die Studierende das Grundstück, existierende Regelwerke und zeitgemäße Wohnformen in einem Atlas analysieren und dokumentieren. In der folgenden Phase werden drei Entwurfsszenarien entwickelt, von denen eines in Form von Plänen und Modellen bis in den Maßstab 1:200 (mit Zooms in den Maßstäben 1:50 und 1:20) weiterentwickelt wird.

Jedes Entwurfsteam wird aus 3-4 Studierenden bestehen und interdisziplinär arbeiten. Bachelor- wie auch Masterstudierenden werden im Rahmen einer PiV mit dem Fachgebiet Tragwerksentwurf und -konstruktion von Prof. Klaus Rückert Tragsysteme entwickeln.






Footnotes:
[1] Die Produktive Stadt. StadtBauwelt (211). Heft 35, 2016
[2] Läpple, Dieter: Produktion zurück in die Stadt?, in: Kronauer, Martin / Siebel, Walter: Polarisierte Städte. Soziale Ungleichheit als Herausforderung für die Stadtpolitik. Campus Wissenschaft, Frankfurt/New York, 2013.
[3] Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, http://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnungsbau/de/schwerpunkte/index.shtml (besucht am 29.7.2016)
[4] Tagesspiegel, http://www.tagesspiegel.de/berlin/treptow-koepenick-gewerbetreibende-muessen-aus-der-lohmuehlenstrasse-65-raus/13920462.html (besucht am 29.7.2016)
[5] Bundesministerium für Bildung und Forschung. Zunkunftsbild "Industrie 4.0". Oktober 2013. S.31. https://www.bmbf.de/pub/Zukunftsbild_Industrie_40.pdf (besucht am 29.7.2016)
[6] Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Stadtentwicklungsplan Industrie und Gewerbe, Mai 2011, S. 13. http://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/stadtentwicklungsplanung/download/industrie_gewerbe/Step_Industrie_Gewerbe_Gesamt.pdf (besucht am 29.7.2016).
[7] Sassen, S. Urban Manufacturing: Economy, Space and Politics in Today's Cities. Vortrag der Konferenz "Erfolgreiche Innenstädte. Handeln - Koordinieren - Integrieren" des Deutschen Seminars für Städtebau und Wirtschaft in Berlin, Januar 2006. https://www.irbnet.de/daten/rswb/08069014954.pdf (besucht am 29.7.2016).
[8] Läpple 2013, ibid.
[9] Süddeutsche Zeitung, 30.6.2016, http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/reform-des-baugesetzes-bund-will-mit-einem-trick-mehr-wohnraum-schaffen-1.3057402 (besucht am 29.7.2016)
[10] Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Neues Wohnen in Berlin – 22 Projekte, März 2016, S. 40f. http://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnungsbau/download/broschuere_neues_wohnen_bauprojekte.pdf (besucht am 29.7.2016)